Wie Nexus-e
die Energiezukunft modelliert

Anfang 2021 hat die ETH Zürich ihre Forschungsplattform «Nexus-e» vorgestellt. Ziel des interdisziplinären Projekts: Verschiedene Szenarien des künftigen Energiesystems berechnen und analysieren können. Politik und Wirtschaft erhalten so eine Grundlage, um fundierte Entscheide zu treffen und gezielte Investitionen zu tätigen.

Die Energiestrategie 2050 verändert das Schweizer Stromsystem in verschiedener Hinsicht. Die Produktion wird erneuerbarer und dezentraler, aber auch unvorhersehbarer. Auf der Verbrauchsseite führen das Aufkommen der Elektromobilität und der steigende Anteil an Wärmepumpen zu neuen Herausforderungen. Gleichzeitig tragen digitale Lösungen dazu bei, solche Hürden zu meistern. Eine Herausforderung aber bleibt: Bei all diesen unterschiedlichen und sich teilweise rasch ändernden Parametern die Übersicht zu behalten. Und doch ist dies wichtig, weil nicht zuletzt Politik und Wirtschaft heute darüber entscheiden müssen, wie der Strom in einigen Jahrzehnten erzeugt, gespeichert, übertragen und verteilt werden soll.

Szenarien berechnen

Die Anfang Jahr von der ETH Zürich in Betrieb genommene Plattform Nexus-e erlaubt Entscheidungsträgern und Forschenden, verschiedene Szenarien des künftigen Strom- respektive Energiesystems zu berechnen. Ein Energieversorger kann beispielsweise untersuchen lassen, wie sich die Strompreise im Stunden-, Tages- und Monatsverlauf entwickeln. So können Preisschwankungen mit täglichen und saisonalen Hoch- und Niedrigpreisen ermittelt werden. «Das ist beispielsweise für den Betrieb von Speichern sehr wichtig: Sie müssen aus wirtschaftlichen Gründen bei niedrigen Preisen aufgeladen und bei hohen Preisen entladen werden können», erklärt Dr. Marius Schwarz, der zuständige ETH-Projektmanager.

Massnahmen überprüfen

Politische Entscheidungsträger erhalten dank der computerbasierten Modellrechnungen von Nexus-e Informationen dazu, ob und unter welchen Bedingungen bestimmte Ziele erreicht werden – etwa die Ausbaupfade für erneuerbare Energien. Anhand der Szenarien können sie beurteilen, ob die derzeitigen politischen Massnahmen ausreichen oder ob andere respektive zusätzliche Massnahmen nötig sind. Auch die Auswirkungen solcher Massnahmen auf das Schweizer Energiesystem können geprüft werden. Anhand solcher Erkenntnisse reduziert Nexus-e die Unsicherheiten von langfristigen Investitionen im politischen und wirtschaftlichen Umfeld.

Beispiel eines Szenarios, bei dem der Ausbaupfad von erneuerbaren Energien mit den Zielen (rote Punkte) verglichen wurde. Gemäss den Modellrechnungen mit Nexus-e werden die Ziele erreicht. Grafik: ETH Zürich

Modulartiger Aufbau

Die neue Plattform basiert auf fünf Kernmodulen. Während vier Module unterschiedliche Bereiche des Schweizer Stromsystems abbilden, umfasst das fünfte die relevanten wirtschaftlichen Aspekte. Indem es diese Module bei Modellrechnungen verknüpft, kann Nexus-e Stromnachfrage und -angebot ebenso berücksichtigen wie energiewirtschaftliche Entwicklungen, energiepolitische Einflussfaktoren über mehrere Zeitskalen (stündlich bis jährlich) sowie verschiedene räumliche Ebenen von lokal bis national. Damit leistet die Plattform deutlich mehr als herkömmlichen Tools, betont Schwarz: «Bisher war es kaum möglich, die gesamten Wechselwirkungen zwischen den Komponenten des Energiesystem zu modellieren.» Mit Nexus-e schliesse die ETH diese Lücke nun: Die Plattform erlaube es, interdisziplinäre Module via Schnittstellen zu verbinden. «Dadurch können wir die Auswirkungen zukünftiger Entwicklungen im Energiesystem ganzheitlich analysieren und verstehen.»

Bisherige Modelle bildeten auch die Wechselwirkungen zwischen Stromnetz und Wirtschaft meist nicht ab oder vereinfachten sie zu stark. Nexus-e hingegen ermöglicht es, diese Aspekte mit der nötigen Komplexität einzubeziehen. So lässt sich anhand der Plattform beispielsweise die Wahrscheinlichkeit von Blackouts untersuchen und prüfen, ob und wie ein Netzausbau die Wahrscheinlichkeit solcher Ausfälle verringern würde.

Die Grafik zeigt, welche möglichen Ergebnisse Nexus-e liefern kann (Output) und welche Daten oder Annahmen dafür nötig sind (Input). Grafik: ETH Zürich

Offener Zugang

Speziell an der neuen Plattform ist auch, dass sie keineswegs nur von einem elitären Zirkel genutzt werden kann oder soll. Vielmehr ist das Projekt bewusst so ausgelegt, dass alle interessierten Studierenden und Forschenden die Plattform kostenfrei nutzen können. «Während der Zugriff heute nur auf Anfrage möglich ist, soll Nexus-e in einem nächsten Schritt vollständig geöffnet werden», erklärt Schwarz. Mit einem Dokumentationssystem stehe bereits heute eine Möglichkeit zur Verfügung, die Nutzenden ebenso wie die Entwickler bei der Zusammenarbeit anzuleiten. Vereinfacht werden soll in naher Zukunft die Kommunikation mit der Öffentlichkeit. Dazu haben Schwarz und sein Team eine eigene Projektwebsite angelegt, auf der Informationen zur Plattform, zur Modellierung und zu aktuellen Projekten zu finden sind. Zudem umfasst die Website ein interaktives Visualisierungstool, mit dessen Hilfe man mit wenigen Klicks in die Modellierungsergebnisse eintauchen und Daten herunterladen kann.

Verschiedene Projekte

Mehr als ein halbes Jahr nach dem Startschuss sind bereits mehrere neue Projekte mit Nexus-e lanciert worden. Auf der Plattform-Website ist eine Übersicht dazu verfügbar. Die aktuellen Projekte nutzen entweder die bestehenden Module der Plattform, erweitern diese durch eine Weiterentwicklung oder haben gar neue Module entwickelt. Der modulartige Aufbau ist denn auch einer der wesentlichen Vorteile von Nexus-e, weil so für jedes Projekt die relevanten Parameter ausgewählt oder hinzugefügt werden können.

Netto-Null 2040?

Das Projekt «CH2040» ist eines der wichtigsten, das derzeit Nexus-e nutzt. «Kernfrage von CH2040 ist, ob die Schweiz das Ziel Netto-Null bereits 2040 erreichen kann», führt Schwarz aus. Zudem wird im Rahmen des Projekts geprüft, mit welchen Mehrkosten das Erreichen dieses Ziels verbunden wäre. Um Aussagen dazu treffen zu können, haben die Projektverantwortlichen das Investitionsmodul mit neuen Energietechniken wie Wasserstoffspeicher, Elektrolyseur oder Brennstoffzelle erweitert. «So lässt sich simulieren, wie diese Techniken die saisonalen Schwankungen der Energieproduktion und -nachfrage ausgleichen können», erläutert Projektmanager Schwarz. Ins Modul integriert wurden ausserdem Szenarien, welche die Situation in den europäischen Nachbarstaaten berücksichtigen – beispielsweise deren eigene Netto-Null-Strategien. Diese sind deshalb relevant, weil sie den Export von Schweizer Solarstrom wohl erschweren werden – im Ausland dürfte an sonnigen Tagen ebenfalls ein Solarstromüberschuss bestehen.

So sieht das Stromnetz der Schweiz als Modell bei Nexus-e aus. Wichtig sind die Verbindungen mit den Nachbarländern, weil der Stromhandel schon heute ein wichtiger Aspekt ist. Grafik: ETH Zürich

Kombination mit Calliope

Besonders spannend am CH2040-Projekt sind zwei weitere Aspekte. Zum einen die Verknüpfung von Nexus-e mit Calliope, einem ebenfalls an der ETH entwickelten Energiesystemmodell. Dieses fokussiert auf die Darstellung des paneuropäischen Energiesystems und kann daher beispielsweise Informationen zur Stromnachfrage der Schweiz und ihrer Nachbarländer liefern. Zum anderen untersucht das Projekt auch zwei Faktoren, die momentan gesellschaftlich und politisch stark diskutiert werden: die Energieunabhängigkeit und der Lebensstil (z. B. Fleischkonsum reduzieren). Beide Aspekte dürften das Erreichen des Netto-Null-Ziels stark beeinflussen und sind deshalb wesentliche Parameter bei der Erarbeitung von Szenarien.

Stetige Weiterentwicklung

Die Entwicklung von Nexus-e ist heute noch keineswegs abgeschlossen. «Wir wollen die Plattform kontinuierlich verbessern und erweitern», bekräftigt Schwarz. Einerseits werden im Rahmen des Forschungsprojekts PATHFNDR Übergangspfade für die Integration von erneuerbaren Energien in der Schweiz entwickelt und analysiert. Andererseits soll Nexus-e in Zukunft nicht nur das Stromsystem, sondern das gesamte Energiesystem abbilden können. Der Fokus wird dabei auf der Kopplung der Sektoren Transport, Wärme, Industrie und Gas mit dem Stromsystem liegen. Mit diesen Neuerungen dürfte die ETH-Plattform noch mehr Möglichkeiten bieten, die Energiezukunft möglichst umfassend zu modellieren.

Über den Autor

Repower

Repower

Vom EVU fürs EVU

Repower ist ein Vertriebs- und Dienstleistungsunternehmen im Energiebereich mit über 100-jähriger Erfahrung. Die Schlüsselmärkte sind die Schweiz (inkl. Originationsgeschäft in Deutschland) und Italien. Der Hauptsitz befindet sich in Poschiavo (Graubünden). Die Gruppe ist von der Produktion über den Handel bis zur Verteilung und zum Vertrieb auf der ganzen Strom-Wertschöpfungskette sowie zusätzlich im Gasgeschäft tätig. Basierend auf ihrem fundierten Energiefachwissen bietet Repower ihre Produkte und Dienstleistungen auch Partnern an - insbesondere EVU, aber auch Industriekunden und öffentlichen Institutionen - und führt Arbeiten für Dritte aus.

Kommentare