Die Schweizer Stromwirtschaft hat in den kommenden Jahren einige anspruchsvolle Aufgaben zu bewältigen. So fällt zum Beispiel die Kernenergie nach und nach weg, dafür gibt es immer mehr dezentrale Erzeuger. Ausserdem wächst mit dem Aufkommen der Elektromobilität der Strombedarf zu bestimmten Zeiten. Digitale Lösungen werden helfen, diese Herausforderungen zu meistern.
Schweizerinnen und Schweizer konsumieren nicht nur Käse, Wein und Schokolade in grossen Mengen, sondern auch Energie. 2019 betrug der Endenergieverbrauch gemäss dem Bundesamt für Energie rund 830 000 Terajoule – mehr als viermal so viel wie noch 1950.
Kernkraft wird fehlen
Das Schweizer Energiesystem muss also auch in den kommenden Jahren immer mehr Elektrizität zur Verfügung stellen können. Dazu soll die Produktion von erneuerbaren Energien ausgebaut werden, insbesondere der Photovoltaik. Gleichzeitig wird der Strom aus der Kernenergie nach und nach wegfallen, denn die verbleibenden vier Kernkraftwerke in Beznau, Gösgen und Leibstadt erreichen in den nächsten 15 Jahren das Ende ihrer geplanten Laufzeit. Sie tragen derzeit im Jahresmittel gemäss dem Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) rund 35 Prozent zur inländischen Stromproduktion bei, im Winter gar bis zu 45 Prozent. Das Ende der Kernkraft ist jedoch nicht nur wegen der wegfallenden Strommenge eine Herausforderung, sondern auch wegen ihrer stabilisierenden Funktion: Kernenergie ist gut plan- und steuerbar. Diese Flexibilität bieten andere Energieträger wie die stochastisch anfallenden «neuen Erneuerbaren» nicht oder nur bedingt.
Neue Anforderungen ans Netz
«Das Stromnetz wurde geplant und gebaut, um Strom von grossen Wasser- oder Kernkraftwerken zu den Verbrauchern zu transportieren und zu verteilen», erklärt Michael Paulus, Bereichsleiter Netze und Berufsbildung beim VSE. Die neuen Energieerzeuger wie Photovoltaikanlagen sind hingegen dezentral angelegt. «Die Stromflüsse ändern sich: Auf der Einbahnstrasse herrscht neu Gegenverkehr», zieht Paulus einen plastischen Vergleich. Eine weitere Veränderung betrifft die Netzbelastung. Heute ist sie in der Regel am Abend am grössten, wenn die Menschen zu Hause Strom zum Kochen, Fernsehschauen, Beleuchten etc. benötigen. In Zukunft wird sich die Höchstbelastung auf die Mittagszeit von sonnigen Tagen verschieben, wenn die Photovoltaikanlagen viel Elektrizität produzieren. Das Netz wird daher auf der Verteilebene an einigen Stellen verstärkt werden müssen.
Auf der Verteilebene wird das Stromnetz gezielt ausgebaut werden müssen, um für die kommenden Anforderungen gerüstet zu sein. (Foto: VSE)
Ausserdem ist anzunehmen, dass die Endverbraucher – die zum Teil zu Produzenten werden – verstärkt in die Regelung des Netzes eingebunden werden. Deshalb wird es nötig sein, diese dezentralen Produktionsanlagen besser steuerbar zu machen. So kann man sie im Zweifelsfall abschalten, wenn ein Produktionsüberschuss droht. Man wird aber auch versuchen, die flexiblen Verbraucher wie Wärmepumpen, Elektroautos und Boiler so einzusetzen, dass sie den überschüssigen Strom verwerten können.
E-Autos und Lastmanagement
Die Dekarbonisierung des motorisierten Individualverkehrs wird wohl hauptsächlich durch die Elektromobilität ermöglicht. Die zunehmende Verbreitung von Elektroautos hat jedoch zur Folge, dass das Stromnetz ein bedarfsgerechtes Laden ermöglichen muss. Das kann insbesondere dann zu Problemen führen, wenn viele Nutzende ihr E-Auto nach Feierabend aufladen wollen. Damit verändert sich die Belastung des Netzes, es kommt zu massiven Lastspitzen.
Auch hier tragen digitale Lösungen zur Entschärfung des Problems bei. Eine Schlüsselrolle nehmen dabei die intelligenten Ladestationen im Privatbereich ein: Sie beziehen den Strom dann, wenn dem Verteilnetz kein Engpass droht. Dieses Lastmanagement kann entweder durch den Kunden selbst vorgenommen werden, indem man diesen beispielsweise mit entsprechenden Preissignalen «lenkt». Alternativ steuert der Betreiber des Verteilnetzes das Aufladen so, dass die Bedürfnisse des Kunden und des Netzes gleichermassen erfüllt werden. Allerdings dürfte in Gebieten mit vielen E-Autos und Schnelladestationen ein gezielter Ausbau des Verteilnetzes dennoch erforderlich sein.
Die zunehmende Verbreitung von Elektroautos stellt das Netz vor die Herausforderung, das Aufladen sicherzustellen. (Foto: PLUG'N ROLL)
Smart Metering bietet Chancen
In vielen Bereichen dürften digitale Lösungen aber einen teuren Ausbau des Netzes ersetzen oder zumindest reduzieren. «Intelligenz statt Kupfer» sei das Credo, sagt Michael Paulus. Schlüsseltechnologien dafür sind unter anderem Sensorik, Datenanalysen und Steuerungsalgorithmen. Als Beispiel nennt Paulus das Smart Metering: «Es erlaubt intelligente Tarifmodelle, die dem Kunden Anreize geben, Strom dann zu beziehen, wenn es keine Engpässe verursacht.» So könnte etwa das Aufladen von Elektroautos über die Mittagszeit, wenn viel Solarstrom zur Verfügung steht, mit besonders attraktiven Tarifen gefördert werden. Smart Meter bieten für die Verteilnetzbetreiber darüber hinaus die Chance, ihre Prozesse kontinuierlich zu digitalisieren und so Kosten zu sparen.
Mehr Handlungsspielraum
Damit die Energiebranche die digitalen Potenziale nutzen kann, sind entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen nötig. Die gemäss der Energiestrategie 2050 überarbeiteten relevanten Gesetze (EnG, StromVG, StromVV) schreiben daher die Einführung intelligenter Messsysteme vor. Bis 2027 müssen die Netzbetreiber 80 Prozent der Stromzähler in den Haushalten durch Smart Meter ersetzen. «Smart Meter alleine stellen allerdings noch keine Lösung dar», schränkt Paulus ein. Dem VSE-Experten zufolge bedarf es eines regulatorischen Handlungsspielraums, damit die Betreiber der Verteilnetze ihren Kunden entsprechende Anreize für den Einsatz digitaler Lösungen geben können. «Die heutigen Vorgaben für die Tarifierung sind zu einschränkend, da sind Anpassungen nötig», fordert Paulus. Er schlägt ausserdem vor, für das sogenannte «Peak Shaving» eine gesetzliche Grundlage zu schaffen. Gemeint ist damit die Möglichkeit, Produktionsanlagen gezielt zu steuern und so einen Netzausbau zu vermeiden.
Mit Smart Metering sind intelligente Tarifmodelle umsetzbar. Es braucht aber auch regulatorischen Handlungsspielraum, damit das digitale Potenzial ausgenutzt werden kann. (Foto: VSE)
Ohne Ausbau geht es nicht
Digitale Lösungen können in verschiedener Hinsicht dazu beitragen, den Energiehunger der Schweiz zu stillen. Letztlich sind es aber physische Leitungen, die den Strom vom Produktions- zum Verbrauchsort transportieren. Ein gezielter Ausbau der Infrastruktur wird daher nötig sein, damit das Stromnetz in Zukunft wesentlich grössere Mengen dezentral erzeugter erneuerbarer Energie aufnehmen und transportieren kann. Für Michael Paulus ist klar: «Digitale Lösungen und Investitionen in die Infrastruktur sind kein Widerspruch. Vielmehr ergänzen sie sich bestens, um unser Energiesystem fit zu machen für die kommenden Herausforderungen.»
Datenschutz Ein wichtiger Aspekt bei der Implementierung von digitalen Lösungen ist der Datenschutz. Intelligente Messsysteme wie Smart Meter produzieren eine Menge Daten, deren Verwendung klar geregelt sein muss. Die Schweiz wird ihr Datenschutzgesetz daher an die stärkeren Richtlinien der EU anpassen.
Ausserdem schreibt das Stromversorgungsgesetz bereits heute vor, dass wirtschaftlich sensible Daten aus dem Netzgeschäft nicht für andere Geschäftsbereiche genutzt werden dürfen. Auch der VSE hat sich diesbezüglich eingesetzt und eine Branchenempfehlung entwickelt, die Antworten auf wichtige Fragen im Bereich der Data Policy liefert.
SMARTPOWER Ein Beispiel einer digitalen Lösung für das Energiesystem der Zukunft ist das METAS-zertifizierte Angebot SMARTPOWER von EVUlution. Es richtet sich an Energieversorger und umfasst massgeschneiderte Lösungen für Smart Metering sowie Last- und Energiemanagement. Damit bietet das Produkt verschiedene Möglichkeiten für neue Anwendungen und Geschäftsmodelle.
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