Im Februar 2022 entschied der Bundesrat, zur Stärkung der Versorgungssicherheit eine Wasserreserve sowie die Planung von Gaskraftwerken in Auftrag zu geben. Kurz darauf begann der Ukraine-Krieg, und seither ist Gas ein rares Gut in Westeuropa. Sind die bundesrätlichen Pläne damit hinfällig?

Gaskraftwerk

Gaskraftwerke sollen in der Schweiz ab 2025 die Spitzenlastabdeckung übernehmen. Foto iStock

Zur Vermeidung von drohenden Stromengpässen ab dem Winter 2025 beauftragte der Bundesrat 2021 die Schweizerische Elektrizitätskommission (ElCom), ein Konzept zur Spitzenlastabdeckung durch Gaskraftwerke auszuarbeiten. Die ElCom legte dieses Konzept im Herbst 2021 vor. Darin schlug sie den gestaffelten Bau von zwei bis drei Gaskraftwerken mit einer Gesamtleistung von bis zu 1000 MW vor. Diese sollen als Ergänzung zu einer Wasserreserve im Fall einer ausserordentlichen Strommangellage für die benötigte Elektrizität sorgen. Der Bundesrat folgte im Februar 2022 dem Vorschlag der ElCom und beauftragte das Amt für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) mit der Planung der nötigen Bestimmungen für den Bau der Gaskraftwerke.

Keine Wärmenutzung

In ihrem Bericht hat die ElCom auch untersucht, welche Art von Gaskraftwerk sich für die Spitzenlastabdeckung am besten eignet. Sie kam zum Schluss, dass Gasturbinenkraftwerke aus technischer und ökonomischer Sicht die beste Wahl sind. Ein Gaskombikraftwerk, bei dem die anfallende Wärme ebenfalls nutzbar gemacht wird, wäre demgegenüber nur bei sehr hohen Brennstoffpreisen und einer längeren Einsatzdauer wirtschaftlicher. Als wenig geeignet identifizierte der Bericht auch kleinere Gasmotorenkraftwerke: Sie wären der ElCom zufolge nur in Kombination mit einer Wärmenutzung von Vorteil. Dies aber erachteten die Autoren des Konzepts aufgrund der Auslegung der Kraftwerke für seltene Einsätze mit relativ kurzer Betriebszeit als praktisch ausgeschlossen.

Unvorhergesehener Mangel

Der Bericht fokussierte ausdrücklich auf ein Stromknappheits-Szenario innerhalb der Schweiz. Die «Absicherung gegen geopolitische Risiken mit einer Gasmangellage in ganz Europa» wurde dagegen nicht näher untersucht oder ins Konzept einbezogen, obwohl die Schweiz von Gaslieferungen aus dem Ausland abhängig ist. Inzwischen haben allerdings die Auswirkungen von Russlands Angriff auf die Ukraine tatsächlich zu einem Erdgasmangel in Europa geführt. Die ElCom stellt sich auf den Standpunkt, dass eine solche Situation 2021 nicht abzusehen war. «Wir haben damals Gespräche mit Experten aus dem Gasbereich geführt, auf eine solche Möglichkeit hat aber nichts hingedeutet», sagt Jürg Rauchenstein, Fachspezialist Netze und Europa bei der ElCom. Daher sei man im Konzept nicht näher auf eine paneuropäische Gasmangellage eingegangen.

Schweizer Erdgasnetz

Das Schweizer Erdgasnetz ist vom europäischen Netz abhängig - und dort herrscht momentan eine Mangellage. Bild VSG

Betrieb mit Heizöl möglich

Trotzdem ist Rauchenstein überzeugt, dass sich das Konzept auch unter den derzeitigen Bedingungen umsetzen lässt. «Es sieht die Möglichkeit vor, die Gaskraftwerke als Zweistoffanlagen zu erstellen, sodass sie auch mit Öl betrieben werden können», erklärt er. Mit dem heutigen Wissen würde man die Zweistoffanlage nicht nur als Option vorsehen, sondern zwingend empfehlen. Die ElCom erachtet diese Variante als zweckmässiger und günstiger als beispielsweise die Errichtung von Gasspeichern, um eine gewisse Versorgungssicherheit zu erhalten. Auch andere Ideen zur Spitzenlastabdeckung wie etwa das sogenannte Powerloop-Modell lehnt die ElCom ab. «Es basiert auf der gleichzeitigen Nutzung von Wärme, daher ist das Modell zur Abdeckung von Spitzenlasten ungeeignet», sagt Rauchenstein.

Stabilisierung der Gasversorgung

Marius Schwarz forscht am Energy Science Center (ESC) der ETH Zürich. Er weist darauf hin, dass die Gaskraftwerke für die Spitzenlastabdeckung frühestens 2025 betriebsbereit sein dürften. Bis dann sollte sich aber die Gasmangellage in Europa gelegt haben. «Einerseits geht die Nachfrage zurück, andererseits werden Alternativen zum Bezug von Erdgas aus Russland aufgebaut», erklärt Schwarz. Katar als einer der grössten Lieferanten weltweit soll beispielsweise künftig Flüssiggas an Deutschland liefern, das dann in die Schweiz weitertransportiert werden könnte.

Nur im Notfall

Dennoch plädiert auch Schwarz dafür, die Gaskraftwerke so auszulegen, dass man sie bei einem Gasmangel mit Heizöl betreiben kann. Öl lässt sich besser speichern als Gas und trägt dazu bei, den Energiemix zu diversifizieren. Langfristig ist es auch möglich, die Gaskraftwerke mit CO2-neutralen synthetischen Brennstoffen zu betreiben oder die entstehenden Emissionen zu kompensieren, sodass die Spitzenlastabdeckung nicht den Klimazielen zuwiderläuft. Wichtig ist aber auch, dass die Gaskraftwerke tatsächlich nur im Notfall eingesetzt werden. «Je häufiger solche Notfälle eintreten, desto problematischer wird die Rolle der Anlagen aufgrund der CO2-Emissionen und der steigenden Abhängigkeit von fossilen Primärenergieträgern», sagt Schwarz. Zudem käme es bei häufigen Notfällen auch öfter zu Marktverzerrungen. Dadurch würde die Legitimation sinken, dass die Spitzenlastanlagen ausserhalb des Marktes operieren.

Wie lange läuft die Kernkraft?

Dass die Spitzengaskraftwerke überhaupt nötig sind, hängt damit zusammen, dass bis 2025 die erneuerbaren Energien noch nicht so stark ausgebaut werden können, dass die Schweiz im Winter ohne Importe auskommt. Im Verlauf der 2030er-Jahre hingegen ist es gemäss Schwarz realistisch, dass Windkraft und alpine Photovoltaik im Winter so viel Strom produzieren, dass die Importe zumindest weiter reduziert werden können. Offen bleibt, wie lange die bestehenden Kernkraftwerke (KKW) noch am Netz bleiben und im Winter zur Versorgungssicherheit beitragen. Abhängig ist dies hauptsächlich davon, wie die Sicherheit der KKW bewertet wird. Momentan sieht es so aus, dass nur Beznau I vor 2030 abgeschaltet wird – wenn überhaupt. Es ist auch möglich, dass alle drei verbliebenen KKW noch länger betrieben werden.

KKW Beznau

Derzeit ist noch nicht klar, wie lange die Schweizer Kernkraftwerke wie das KKW Beznau noch betrieben werden. Bild Axpo

Zusammenarbeit nötig

Marius Schwarz weist darauf hin, dass auch die europäische Zusammenarbeit im Energiebereich für die Versorgungssicherheit der Schweiz entscheidend ist. «Energieautarkie lässt sich in einem Land mit einer so hohen Bevölkerungsdichte wie der Schweiz nicht erreichen, wenn gleichzeitig die Landwirtschaft und die Biodiversität erhalten bleiben sollen», meint der ETH-Forscher. Es gebe andere Länder mit mehr ungenutzten Flächen und mehr Ressourcen für erneuerbare Energien – zum Beispiel das sonnenreiche Spanien. Die Schweiz ist auch nicht das einzige Land mit Defiziten in der Versorgungssicherheit. Während hierzulande durch den Fokus auf Wasser- und Sonnenkraft ein saisonales Ungleichgewicht besteht, sind in Deutschland die stündlichen, täglichen und wöchentlichen Schwankungen in der Sonnen- und Windkraft eine Herausforderung. Die unterschiedlichen Energiesysteme können sich dadurch gegenseitig unterstützen – wenn denn die politischen Rahmenbedingungen gegeben sind.

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Repower ist ein Vertriebs- und Dienstleistungsunternehmen im Energiebereich mit über 100-jähriger Erfahrung. Die Schlüsselmärkte sind die Schweiz (inkl. Originationsgeschäft in Deutschland) und Italien. Der Hauptsitz befindet sich in Poschiavo (Graubünden). Die Gruppe ist von der Produktion über den Handel bis zur Verteilung und zum Vertrieb auf der ganzen Strom-Wertschöpfungskette sowie zusätzlich im Gasgeschäft tätig. Basierend auf ihrem fundierten Energiefachwissen bietet Repower ihre Produkte und Dienstleistungen auch Partnern an - insbesondere EVU, aber auch Industriekunden und öffentlichen Institutionen - und führt Arbeiten für Dritte aus.

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